Internationales Wertinger Gitarrenfestival 2018

Die Gitarrenszene ist eine, die ähnlich der von Jazzmusikern geniale, international erfolgreiche, aber nach wie vor nahbare KünstlerInnen hervorbringt. Seit 2012 haben die – auf Initiative von Journalistin Bärbel Schön – mit dem Internationalen Wertinger Gitarrenfestival einmal im Jahr eine Bühne, auf der sie mit ihrer Virtuosität die unglaubliche Vielfalt der Gitarre präsentieren und gleichzeitig zu einer Reise in die facettenreiche Welt der Klänge, erzeugt eben von nur einem Instrument, entführen. Bewährt zusammengestellt wird das Festival vom künstlerischen Leiter  Johannes Tonio Kreusch.

Abend 1: Eine Klassik- Gala von Bach bis Beatles

Das Trio (v.l.): Dimitri Lavrentiev (sitzend), Klaus Wladar und Takeo Sato genossen den Auftritt in Wertingen.
Das Trio (v.l.): Dimitri Lavrentiev (sitzend), Klaus Wladar und Takeo Sato genossen den Auftritt in Wertingen.

Der war schon am ersten Abend fasziniert von der „wunderbaren und ungewöhnlichen Programmauswahl“ der drei Gitarristen Dimitri Lavrentiev und Klaus Wladar, beide Dozenten am Leopold-Mozart Zentrum der Universität Augsburg, sowie Takeo Sato, Professor für Gitarre am Konservatorium in Vorarlberg, und deren Zusammenspiel. Das Alegrias Trio eröffnete 2018 fulminant das Internationale Wertinger Gitarrenfestival.

Und das brillante Agieren mit der Gitarre wurde vom Duo Anabel Montesinos und Marco Tamayo aus Salzburg, das nicht nur auf der Bühne als musikalisches Paar, sondern im Leben als Ehepaar verbunden ist, im zweiten Teil des Eröffnungsabends fortgeführt. Eine fast andächtige Stille im Publikum begleitete den musikalischen Dialog der beiden Virtuosen, die jeweils abwechselnd vermeintlich dominant im Vordergrund spielend, aber stets eine Einheit bildend, etwa die Stücke von Rossini (die Ouvertüre aus „Il barbiere di Seviglia“, arrangiert von Mauro Giuliani) oder von Enrique Granados („Danza Oriental“) zum Besten geben. „Weltklasse wie die beiden auswendig musizieren und eine grandiose Energie erzeugen, die auf das Publikum überspringt“, so Kreusch. Beinahe vergaß man bei der Abwechslung und Buntheit der Töne, die die Spanierin und der Kubaner erzeugten und die sie mit ihrer Technik dem Instrument entlocken, dass hier „nur“ zwei Künstler mit zwei Gitarren auftraten. So kraftvoll und dann wieder leicht, fast zurückhaltend leise und schließlich erneut bestimmt wurden Claude Debussys „Golliwog‘s cakewalk“ aus „The children corner“ und die „Tonadilla“ von Joaquin Rodrigo präsentiert. Die Harmonie der beiden gipfelte im Mozartstück, das sie mit vier Händen auf einer Gitarre spielten. Mit Standing Ovations endete ein fulminanter Auftakt eines Festivals, das Wertingen hier sein Eigen nennen darf.

Abend 2: Zwei Männer und ihre Gitarren. Freigeist Claus Boesser-Ferrari und Singer-Songwriter Jon Gomm in der Acoustic Fingerstyle Night

Die Gitarre wird bei ihm zum Multifunktions-Instrument: Claus Boesser-Ferrari.
Die Gitarre wird bei ihm zum Multifunktions-Instrument: Claus Boesser-Ferrari.

Dass man die Gitarre auf so verschiedene Arten, durch unterschiedliche Spielweisen kennen lernen kann, bewies auch der zweite Abend. Mit mystischen Klängen begann dieser, um dann in eine Kraft zu kommen wie man sie von den großen Gitarristen wie etwa einem Jimi Hendrix kennt. Claus Boesser-Ferrari, der den zweiten Abend eröffnete, nutzt seine Gitarre nicht nur im ursprünglichen Sinne, für ihn ist sie auch Schlagzeug, Percussion, einfach das Medium mit dem er Töne erzeugt, die einem durch den Körper fahren, im positiven Sinne. Und so wähnte man sich durch diese zunächst in der klaren, frischen Natur, um dann im nächsten Moment darin wieder das pulsierende Treiben in den Gassen irgendeines beliebigen Ortes zu hören oder sich an einem Platz inmitten von fröhlichen Menschen zu fühlen. Weiter erspürte man über seine Klänge eine unendliche Weite, die sonst auf einem Berg ins Tal blickend oder am Rand einer Klippe stehend in den Wellen des Meeres erfahrbar werden kann. Schließlich tauchte vor dem geistigen Auge ein Motorradfahrer auf, der den Highway entlang fährt. Das Spiel des Gitarristen, aus dem Moment geboren, scheint willkürlich, doch nach etwa einer Stunde erschloss sich dem Zuhörer eine Film gleiche Reise durch die Fantasie, in der Wirklichkeit über Boesser-Ferraris fantastisches Gitarrenspiel entstand. In seiner Zugabe präsentierte er unter anderem seine Version von Moon River, sanft, dennoch kraftvoll und einfach nur schön. So schön, dass zwei weitere folgten und sich sogar ein paar Takte von „Der Mond ist aufgegangen“ wie selbstverständlich in das emotionale Spiel einfügten.

Treffen mit Singer-Songwriter Jon Gomm.
Treffen mit Singer-Songwriter Jon Gomm.

Und dann kam John Gomm aus Blackpool. Seine Version von Chaka Khans „Ain‘t nobody!“, bei der die Gitarre wie schon bei seinem Vorgänger an diesem Abend auf der Bühne auch als Schlagzeug und Percussion diente, ging über den Disco-Klassiker mehr als hinaus. Was folgte, waren seine Songs, mitunter musikalische Collagen bekannter Stücke wie etwa „Running up that hill“ von Kate Bush, die im Zusammenspiel seiner Stimme und seiner Gitarren-Klang-Explosion eine Raum erfüllende Power entfachten. Der Engländer demonstrierte dem Publikum zudem am Beispiel einer achtköpfigen Reggae Band, die er allein mit seiner Gitarre, den Möglichkeiten damit und seiner Stimme zum Leben erweckte, wie dieser Klangkörper eine Vielzahl an Instrumenten sein kann. Dass der Singer-Songwriter auch politische Statements abgibt, zeigte sein Instrumentalstück „Wukan Motorcycle Kid“ über einen chinesischen Jungen. Ruhig und sanft, aber ebenso kraftvoll ist es eine Hommage an einen jungen, mutigen Menschen, der im Regime auf seinem Moped fahrend vor der Geheimpolizei warnt, die Leute verhaften. „Ich habe davon gelesen und daraus entstand dieses Stück“, erklärte Gomm. Das Wertinger Publikum kam außerdem in den Genuss eines neuen Stücks „Dreamfactories“seine musikalische Anklage gegen derzeitige  Trash- und Casting-TV-Shows, die aus England kommend auch in der deutschen Fernsehlandschaft inflationär ausgestrahlt werden. Echt, individuell und unverzichtbar dagegen, das Gitarrenspiel des Engländers.

Abend 3: Ein Gypsy-Swing-Konzert mit dem Joscho Stephan Trio

Das Joscho Stephan Trio in Wertingen!
Das Joscho Stephan Trio in Wertingen!

Mit dem Stück „Papillon“, einem Bolero flogen die Töne flink durch den Raum wie ein bunter, fröhlicher Schmetterling. Überhaupt war die Schnelligkeit, mit der die Finger von Joscho Stephan über die sechs Saiten der Gypsy-Gitarre flirrten, atemberaubend und das Gitarrenspiel des brillanten Gypsy-Swing-Gitarristen glich sogar vielmehr einem Hummelflug. Mit seinem Bassisten Volker Kamp, der selbst mit seinen Soli brillierte, sowie seinem Vater Günter – „Mein Vater möchte keine Soli spielen, doch sein Rhythmus ist das wichtigste Element in unserem Trio und wird oftmals unterschätzt.“ – schenkte der 39-jährige Jazzgitarrist dem Publikum einen perfekten Abschluss des dreitägigen Gitarrenfestivals in Wertingen. Schon mit dem ersten Stück des Abends, „Créateur immobilier“ aus der Feder von Joscho Stephan wurde das Publikum fasziniert. Die drei Musiker servierten an diesem Abend überhaupt insgesamt ein berauschendes Menü aus filigranen Melodien, mitreißenden Rhythmen und wohltuendem Groove mit Stücken wie „Made in France“ von Biseli Lagrane, „Hey Joe“, einem Rock-Standard, oder „Hallo kleines Fräulein“ von Fred Oldoerp. Joscho Stephan, der in der Nachfolge des großen Django Reinhardt steht, spielte zudem nicht nur dessen Stücke wie etwa „Are you in the mood?“, sondern auch seine eigene Komposition „Ballade pour Django“. Faszinierend waren aber nicht nur das perfekte Spiel von Joscho Stephan, seine große Musikalität, seine Präsenz und seine Improvisationsgabe, sondern auch wie er ebenso charmant wie witzig durchs Programm führte.

Drei Tage und Abende gab sich das Who is Who unter den internationalen Topgitarristen in Wertingen die Klinke in die Hand und verwandelte die nordschwäbische Kleinstadt in eine Gitarren-Hochburg.