Charly Hübner

Danke Charly Hübner…

…für eine weitere interessante Erfahrung zu Brecht: Sein Auftritt, mein Festival-Highlight, das ansonsten Grund zu kritischer Reflexion lieferte.

Seit einigen Jahren erschließe ich mir neben dem beruflichen Tun auf dem Brechtfestival auch immer ganz privat den großen, literarischen Sohn unserer Stadt. War zu Zeiten von Festivalleiter Joachim A. Lang der Promifaktor für viele, auch für mich, schon auch ein Grund zur Teilnahme, kritisierten doch einige zu Patrick Wengenroths Zeiten deren vermeintliche Abwesenheit. Und jetzt mit Kuttner und Co. (Tom Kühnel, irgendwie im Schatten seines Kompagnons) waren sie gefühlt wieder übermäßig präsent. Aber ist das wirklich der Weisheit letzter Schluss: Man nehme Künstler mit bekannten Namen, die Brechtsche Ergüsse von Zetteln ablesen und fertig ist ein Spektakel?

Nun ein Spektakel war es dann schon irgendwie. Besucher echauffierten sich ob der Wartezeiten und Abweisungen an Spielstätten, wenn diese keinen Sitzplatz mehr zur Verfügung hatten, andere waren begeistert von den Lesungen eines Milan Peschels oder Lars Eidingers, wieder andere fühlten sich dadurch etwas, sagen wir mal, veräppelt. Umso erfrischender und beeindruckender, zumindest für mich, der Auftritt von Charly Hübner. Er hatte sich spürbar mit Brechts „HERRNBURGER BERICHT“ befasst, las und sang zwar auch mit Manuskript, jedoch mit eigener Note.

Deutsche/ wurden von Deutschen/ gefangen/ weil sie von Deutschland/ nach Deutschland/ gegangen“ (Bertolt Brecht, 1951)

Worum geht es: Im Mai 1950 ereignet sich an der deutschdeutschen Grenze bei Lübeck-Herrnburg ein kurioses Ereignis. Etwa 10.000 westdeutsche Jugendliche, „meist Mitglieder der später verbotenen FDJ“ (Spiegel, 1982), die auf der Rückreise von einem Jugendtreffen in Ostberlin sind, werden an der Einreise in die Westzone gehindert. Die Beamten verlangen von ihnen, sich zu registrieren, doch die Jugendlichen widersetzen sich. Bertolt Brecht und Paul Dessau schreiben dazu 1951 die Kantate „Herrnburger Bericht“. Das Stück war im Osten und Westen gleichermaßen unbeliebt. Vom DDR Politbüro wurde es verboten.

Hübner schafft Bezüge zu heute

Am Rande der Aufführung gab es Proteste der tatsächlich heute noch existierenden Freien Deutschen Jugend (FDJ), die vor Ort demonstrierten und darauf pochten, dass Hübners Auftritt nicht als Premiere betitelt werden dürfe. Hübner las den Brief vor, benannte seine „Uraufführung“ einfach flugs in Hamburger Bericht zum Herrnburger Bericht um. Und er schaffte es, das Ganze mit persönlichen, familiären Wahrheiten (sein Vater war Stasi-Spitzel) und mit Bezügen zu heute zu präsentieren. Beispiel: Das Spottlied Brechts zu Konrad Adenauer (CDU) und Kurt Schumacher (SPD) und deren zu damaliger Zeit einzige Einigkeit in puncto Ablehnung der SED. Muss man da nicht zwangsläufig an Thüringen denken. Es war mir eine Freude, kurz danach mit Hübner über diese Parallelen zu sprechen. Mein Highlight war ganz klar sein Mitwirken am Brechtfestival 2020.