Die deutsche Weltklasse-Tangokünstlerin Nicole Nau und Multiinstrumentalist Luis Pereyra präsentieren mit ihrer Kompanie die neue Show „VIDA!“. Faszinierende Geschichten um den Mythos Tango und Argentinien werden gezeigt, anders, berührend, atemberaubend. Die beiden berühmtem Tangotänzer bringen Musik, Gesang, Perkussion und natürlich mitreißende Tänze und Rhythmen der magischen Kultur Argentiniens, dem Land der Gauchos, Ureinwohner, Porteños auf die Bühne. Vor der Deutschland-Premiere der Tango-Showsensation „VIDA!“ am 13. Oktober in der „Philharmonie Gasteig“ in München konnte ich mit Nicole Nau ein Interview führen.
Frau Nau, was genau macht für Sie persönlich der Tango aus, was fasziniert Sie an dieser Tanzrichtung?
Die Freiheit. Das Rebellische. Die Anziehung. Das klare Rollenspiel. Die Gegensätze. Die Leidenschaft der Beinarbeit.
Der Tango Argentino birgt in sich schwarze Wurzeln, die in seinem Rhythmus pulsieren. Völker, die in ihm eine gemeinsame Sprache finden. Menschen, die sich ein neues Leben erobern, sich nach einer Zukunft sehnen und altes Leben gleichermaßen vermissen als auch versuchen abzuschütteln und zu vergessen, damit der Verlust erträglich bleibt. Viele Völker flechten sich in die Geschichte des Tango ein. Nicht nur die Welle der Immigranten aus Europa, sondern auch Native, Gauchos, Soldaten, Sklaven.
Das macht ihn rebellisch und sehnsüchtig zugleich. Kraftvoll wie Blues oder Rock!
Der Argentinier macht grundsätzlich alles anders! Beim Steppen nutzt er nicht nur die Sohle, sondern alle Seiten vom Fuss. Kein anderes Volk steppt so.
Und kein anderes Volk tanzt einen Paartanz auf diese Weise. Denn was den Tango Argentino unterscheidet von anderen Paartänzen ist die aufregende Beinarbeit. In keinem anderen Tanz arbeiten die Beine so virtuos ineinander verschlungen wie im Tango. Und das ist faszinierend. Wenn man sich dann noch vorstellt, dass der Mann das alles führt, und zwar richtig führt, die Frau dabei keinesfalls folgt, beide im Moment den Moment gestalten, dann ist das einfach aufregend und sinnlich. Ein so dichtes Miteinander habe ich in keinem anderen Tanz erlebt. Dieses Erleben war für mich so intensiv, dass ich alles liegen und stehen liess und nach Argentinien ging. Denn eines war mir klar, das kann man nur in Argentinien lernen und leben.
Der Tango mag ja für manchen als Wiedergabe veralteter Rollenklischees daher kommen, was setzen Sie wiederum diesem Klischee entgegen?
Der Tango Argentino ist ein Tanz entstanden im Volk und lebendiger Teil eines Volkes. Wer sich die Form ausleiht und reproduziert, der bedient das Klisché. Aber wer die Tiefe versteht, und diese immer wieder neu lebt, der pflegt Tradition.
Tausende von Menschen und Seelen haben den Tango Argentino mit gestaltet, waren vor uns da, werden nach uns kommen. Das ist ein sehr schwer wiegendes Erbgut und hohe Verantwortung.
Diesen Tanz an seinen Wurzeln zu packen und modern zu inszenieren ist unsere Aufgabe. Eine Pflanze, die tief in der Wurzel und Erde verankert ist, und täglich wächst und dabei Blätter erneuert. So bleibt Tradition erhalten.
Wir stellen keinen alten Abklatsch her, entfremden diesen Tanz aber auch nicht aus seinem Ursprung, kappen ihn nicht an den Wurzeln, sondern im Gegenteil pflegen diese, um reiche Facetten ernten zu können.
Das Klisché entsteht immer und nur dann, wenn nachgeahmt wird, was mal war. Wenn Inhalte nicht neu und erneut gelebt werden. Das passiert, wenn der Tango genutzt, verscherbelt, verkauft, standardisiert wird.
Aber ich bin und wir sind Künstler und vertrete eine Kultur, ein Volk, ein Land.
Man muss bescheiden und demütig gegenüber der Kultur bleiben. Dann kann sie sich in einem voll entfalten.
Inwieweit ist der Tango allerdings: getanzte Gleichberechtigung oder doch gewollte klare Aufteilung männlicher und weiblicher Rollen?
Beides! Die Rollen sind sehr klar verteilt. Er führt. Sie folgt aber nicht sondern tanzt diese Führung. Das ist ein ungemein anspruchsvoller Part. So wie auch das Führen sehr anspruchsvoll ist. Dabei ist die Rolle des Mannes nicht weniger oder mehr wert als die der Frau. Es ist vielmehr so, dass die Frau dem Tanz das Kostbarste schenkt, was sie hat, ihre Weiblichkeit, in vollem Umfang, mit aller Stärke, die diese Weiblichkeit in sich tragen mag. Da ist ja jede Frau anders. Und der Mann all das einbringt, was er in sich hat. Sein Mann sein, mit aller Sensibilität, die er in sich tragen kann. Problematisch wird es, wenn einer von beiden sich in die Rolle des anderen einmischt, oder seine eigene nicht belegt. Beide müssen anwesend sein: mit allen Facetten: Kraft, Sensibilität, Eigensinn, Kreativität. Von daher sind beide gleichermaßen wichtig, beide können nur zusammen eins werden, und müssen dies auch, sonst ist es kein Paar. Jeder belegt dabei einen anderen Part. Der Mann steht in der Position des Führenden. Einfach weil dieser Tanz so entstanden ist. Das, genau das macht den Tango Argentino ja aus: dass ein Paar improvisiert. Aus der Führung des Mannes gestaltet sich Tanz im Körper der Frau. Die Frau ist also in der Rolle der Interpretierenden. Ich möchte einfach einmal behaupten, dass Mann und Frau gleichberechtigt und gleichwertig sind, aber nur eben nicht gleichartig.
Luis geht sogar noch einen Schritt weiter. Er sagt: das wichtigste im Tango Argentino ist die Frau. Ohne sie machst Du gar nichts, denn sie ist der Tanz, der in deiner Umarmung mit Hilfe Deiner Führung entsteht. Erst wenn sie tanzt, kannst Du diese ihre Bewegung begleiten
Denn Führung bedeutet ja nun um Himmels Willen nicht, dass eine Frau hinter einem Mann her rennt oder ihn gar kopieren sollte. Das wäre ein Armutszeugnis für diesen Königstanz! Und sich führen lassen ist keinesfalls mit Passivität zu verwechseln!
Was erwartet uns am 13.10, auf was dürfen sich die Besucher freuen? Was bedeutet „Vida“ konkret?
VIDA bedeutet Leben. Den Titel haben die Zuschauer selber gegeben. Nach jeder Show – ich bin zum Abschluss immer zum Signieren im Foyer, stehen Trauben von Menschen vor mir und sagen, wie fasziniert sie sind von diesen vielen Facetten, den vielen wirklich großen Emotionen.
Die Faszination Tango steht zunächst im Mittelpunkt. Dieses Jahr erstmals mit dem Music Hall Argentino, einer Zeit um die 60er und 70er Jahre. Komponisten wie Mores, Berlingheri, Federico haben diese Atmosphäre fantastisch eingefangen. Kleine minimalistische Szenen erzählen eingeflochten von den Ursprüngen. Die Milonga Surena, der Chamamé
Aber dann geht es schnell weiter, denn Argentinien hat noch viel mehr zu bieten als Tango.
Sie werden erstaunt sein, wieviel Rhythmen dieses Land zu bieten hat. Phantastische Musik.
Die mitreissenden Stepp und Trommel Nummern, die Chacareras, der Escondido, die Cueca.
Und natürlich zeigen wir auch ein Stück aus der tiefen Vergangenheit. Indio Toba, antiguo dueno de las flechas. Hier geht es um die Vertreibung der Toba Indianer.
Am 30.09. landet unser Ensemble. Alle Künstler fliegen ein aus Argentinien. Eine phantastische Truppe, mehr Tänzer denn je.
Sehr junge Leute, aber auch reife Tänzer sind dabei. Sie sind alles vielseitige Talente. Denn sie müssen alles können, von Gesang, über Tanz, Trommel und Steppen, bis hin zum Musizieren. Wahre Talente!
Sie zeichnen verantwortlich für die Kostüme, inwieweit ist dieser Aspekt der Performance in Ihrem Programm wichtig?
Ursprünglich war ich Grafikerin, bis ich dann Luis das erste Mal tanzen sah. Das war übrigens hier in München im Deutschen Theater.
Diese Grafik begleitet mich bis heute. Insbesondere im Kostüm Design habe ich so freie Hand das zu gestalten, was ein Stück in der Inszenierung braucht. Ich verkleide Menschen nicht gerne, weil sie dann nicht sie selber sind. Aber ich ziehe sie an mit Kleidern, Kostümen, die die Situation anreißen und skizzieren. Es hilft ungemein, dass ich das selber machen kann, und nicht jemandem erst erklären muss, was wir suchen. Das ist wie Träume erzählen. Nie genügen die Worte, um Träume zu beschreiben, aber ein Bild würde einen Traum einfangen können. So ist es mit dem Design. Hier kann ich helfen, der Chroreographie von Luis einen stofflichen Rahmen zu geben, Bewegung einzukleiden, zu betonen, zu verstärken, einzudämmen, Situationen farblich zu gestalten, Zeiträume und Orte zu skizzieren.
Sie sind in Argentinien ein Star, zieren Briefmarken, Ihre persönliche Sicht auf diesen schönen Umstand.
Ihre Frage zaubert ein Lächeln in mein Gesicht. Ich glaube, ich bin diejenige, die dem allen am wenigsten Aufmerksamkeit schenkt. Es macht aus mir keinen besseren Menschen oder Tänzer. Der Tanz ist einfach so, man muss ihn jedes Mal aufs Neue neu gestalten.
Jede Bewegung ist jetzt sofort schon Vergangenheit. Die Briefmarken sind eine schöne Erinnerung an eine harte und fruchtbare Zeit. Keinesfalls war es leicht, sich im Land der Argentinier als Ausländerin durchzusetzen.
Aber meine Begeisterung, diese innere Berufung, diese unstillbare Lust, einfach das Beste aus jeder Musik zu holen, – das alles hat dazu beigetragen, dass es sich gelohnt hat, hier in Deutschland vor 35 Jahren alles aufzugeben.
Ich habe alles bekommen: Meinen Tanz, meinen Mann, diesen phantastischen Menschen und Künstler Luis Pereyra – und sogar 2 Briefmarken dazu!