Teil 2 der Reportage über vier bewegende Tage in Rumänien und der Ukraine

Aufnahme der Gäste und Rückfahrt

Nach dem Frühstück geht es für alle erneut zur Grenze. Es ist Samstag und nun sollen die Passagiere aufgenommen werden. In Gruppen kommen die überwiegend Frauen und Kinder über die Grenze und werden zu den Bussen gebracht, die je mit einer Krankenschwester, Übersetzer und drei Busfahrern besetzt sind. Erschöpft, hungrig, aber relativ unaufgeregt sind die Gäste und so verläuft letztendlich die Verteilung auf die beiden Doppeldecker fast reibungslos. Nur die Anwesenheit von zwei Katzen und zwei Hunden muss geklärt werden, die letztendlich aber mit auf die Reise gehen können. Am frühen Nachmittag startet der Konvoi in Richtung Bayern und wird über 30 Stunden unterwegs sein: der jüngste Passagier ist 20 Tage alt, die älteste Mitreisende 87, zudem ist eine im achten Monat schwangere Frau mit ihrem Kind an Bord. Durch die Karpaten geht es zur ungarischen Grenze. Dass hier eine über neunstündige Wartezeit für alle bevorsteht, ahnt zu diesem Zeitpunkt niemand. Es wird vor allem für Missionsleiter Philipp Blobel eine aufwühlende Nacht, von zwei bis 11 Uhr am Sonntag werden die Pässe geprüft, zum Teil fehlende biometrische Daten im System erfasst und hierfür die Passagiere einzeln aus den Bussen teils zum Fingerabdruck und zum Fotografieren geholt. Die Geduld aller wird auf eine harte Probe gestellt. Der Krebspatientin und auch der werdenden Mutter setzt dies alles sehr zu und das medizinische Team ist einmal mehr gefordert und wertvoll. Sonntagabend schließlich erreicht der erste Bus das Patchworkhotel Alpenhof, von wo es nach einem Abendessen für die Menschen ins Übernacht Hostel geht. Auch die beiden Transporter kommen dorthin. Die fünf Frauen und zwei Hunde, die hier mitreisten, können sofort privat untergebracht werden, ein Glück, da die mitgebrachten Haustiere nicht unproblematisch in der Weitervermittlung in Unterkünfte sind.

Das letzte Fahrzeug erreicht um 22.30 Uhr Friedberg, da hier durch Rotary Friedberg die weitere Betreuung der Ukrainer erfolgt. Die Schwangere befindet sich jetzt im Pkw der beiden Gießener Medizinstudenten Christoph West und Bruno Brito da Rocha auf dem Weg nach Stuttgart, die Krebspatientin wird nach Gießen gebracht, weil dort eine Weiterversorgung, die in Rumänien nicht mehr möglich war, organisiert werden konnte.

Jetzt heißt es, unsere Gäste in Empfang nehmen. Alle sind im Einsatz, wir wollen schnell unsere Passagiere auf die Busse verteilen, damit es losgehen kann. Doch natürlich gibt es Einges zu klären, da sehen wir uns mit Haustieren konfrontiert, die eigentlich nicht mitkommen können, es verschwindet kurzzeitig der Koffer und Rucksack einer Ukrainerin . Und plötzlich habe ich meine ganz eigene Mission. Denn es kann nicht sein, dass der letzte Besitz dieser Frau weg ist. Ich werde das Gepäck finden, und auch die Katzen und Hunde kommen mit. Meine Sorge ist unbegründet, alles regelt sich nach kurzer Aufregung, die Habseligkeiten tauchen auf, sie waren in einem Bus der Feuerwehr, die Katzen werden in den Kofferraum platziert und die Hunde samt Besitzerinnen auf die Transporter verteilt.  Endlich rollen wir los. In den Bussen leisten Natalie und Bernadeta mit den Fahrern und Übersetzern jetzt bis zur Ankunft einen super Job, betreuen rund und die Uhr, sind da und geben Sicherheit. In meinen Fahrzeug sitzen Polina (87), ihre Enkelin Camilla (17) und Tochter Larisa (52) mit Hund Lincoln (5) aus Zaporozhye. Polina hat drei Kriege erlebt (2. Weltkrieg, Tschetschenien und jetzt den in der Ukraine). Zwei Brüder von Camilla, einer im Alter von 27 samt Frau, einer mit 25 , und eine Schwester mit ihren Kindern sind noch dort. Die junge Frau dolmetscht für ihre Familie in Englisch, wenigstens ein klein wenig Konversation, doch wir sind alle erschöpft und versuchen im Neunsitzer zu schlafen. Polina wird allerdings nicht müde, mir immer wieder mit „Spasybi“ Danke zu sagen, dabei tue ich doch nix außer sie mit den anderen zusammen nach Deutschland zu bringen, wo es doch keinen Grund geben sollte, dass sie überhaupt ihre Heimat verlassen muss. Dass wir stundenlang an der ungarischen Grenze stehen, merke ich tatsächlich erst nach ein paar Stunden Schlaf auf der Sitzbank. Ich bin zu fassungslos darüber, als dass ich mich aufregen könnte. Eine unglaubliche Erleichterung verspüre dennoch auch ich, als wir passieren dürfen. Das Paradoxe am Ganzen ist, kein Mensch wollte von mir irgendein Dokument sehen. Als wir am Abend in Augsburg ankommen, möchte ich nur noch heim und in ein richtiges Bett. Mein Mann holt mich ab und ich bin einfach nur dankbar, dass er mich in unser Haus bringt, dass ich ihn nirgends zurücklassen musste, wo er sein Land verteidigen muss, wie die Männer der Frauen, die mit ihren Kindern jetzt vorerst in unserer Region leben, ohne zu wissen, ob und wann sie ihre Liebsten wiedersehen. 

Nachtrag 

Mit dem Ende der Reise ist die Mission längst nicht am Ende, ab Montag sind Philipp Blobel  und seine Frau Natalija, Mitglieder der Missionstruppe, viele Ehrenamtliche vom Lions Club Augsburg Elias Holl, Rotary Friedberg und weitere Helfern im Einsatz, die Menschen aus dem Hostel in andere Unterkünfte zu bringen und vor allem diese zu finden. Es reicht nämlich nicht Flüchtende nur nach Deutschland zu bringen, auch hier benötigen sie Hilfe, Betreuung und Sicherheit. Über ein What`s App Gruppe werden Fahrten, Nötiges wie Kleidung, Betten etc. organisiert. 

Zwei Tage später treffen sich ein paar von uns zum Zoom-Meeting, um sich über die jeweiligen Erlebnisse und Gefühle auszutauschen, aber auch um Erfahrungswerte zu sammeln, zu reflektieren, um bei einer erneuten, geplanten  Mission Nachbesserungen einfließen lassen zu können. Ich merke wie wichtig und gut diese Stunde tut, denn das Erlebte muss verarbeitet werden. Parallel habe ich über Facebook Kontakt zu Valentyn, dem Arzt. Er schreibt mir von Warnsirenen den ganzen Tag über, und trotzdem muss operiert werden. Nebenbei sauge ich die Nachrichten auf und warte auf eine Meldung, die endlich verkündet: es ist vorbei. Dass es leider noch dauern wird, ist Realität, Bilder, die von Tag zu Tag schlimmer werden, belasten uns alle mehr oder weniger. Ich weiß, dass mein Alltag, meine Themen wieder die Übermacht bekommen können und zum Teil werden, aber ich weiß auch, dass ich dankbar für diese Erfahrung bin, die mich hoffentlich immer wieder dazu bringt, mehr zu tun, als ich oft denke, dass ich es in solchen Situationen könnte.