Volker Feldmann (Bjarne Mädel) ist wütend, da Lena Wallinger (Anne Schäfer) den Strafzettel nicht unter den Tisch fallen lassen kann. | Bild: ARTE/BR/TV60 Filmproduktion GmbH/Jürgen Olczyk

Geliefert – Interview mit Bjarne Mädel

 
GELIEFERT – ein Film, der komische wie traurige Momente bereithält. Ein Film über einen Paketzusteller und alleinerziehenden Vater. Ein Film über Ausbeutung in der modernen Arbeitswelt und über Kämpfe mit einem pubertierenden Sohn. Vor allem aber ein Film über Freundschaft und Würde, und darüber, wie wichtig es ist, sich gerade in schwierigen Zeiten selbst treu zu bleiben. Ich hatte die Ehre mit Bjarne Mädel ein Interview dazu führen zu können.


Es gibt eine bezeichnende Szene, als Volker Wein liefert und letztendlich die Weinhandlung im selben Haus ist wie die Wohnung des Kunden. Nicht nur Volker ist fassungslos, irgendwie war ich es beim Betrachten des Films auch. Für mich zeigt das die ganze Dramatik des Protagonisten, seiner oftmals so wenig gewürdigten Arbeit des Zustellers, aber auch die knallharte Lebensrealität vom Menschen, der nur noch konsumiert, sich beliefern lässt, auch wenn dies gerade in dieser Szene so aberwitzig und sinnlos ist. Obwohl der Kunde es kann, da es angeboten wird. Wie geht es Ihnen damit?


Ich bin da natürlich auf Volkers Seite. Die Szene ist sinnbildlich für die „Wertigkeit“, die Menschen in unserer Gesellschaft haben. Die, die Geld haben, fühlen sich mehr wert als die, die ihnen Dienstleistungen erbringen. Natürlich wird der, der für mich in einem Restaurant kocht, von mir bezahlt, aber deshalb muss ich ihn oder den Kellner ja nicht schlecht behandeln, nur weil ich für das Essen bezahle. Man sollte den Menschen von dem trennen, was er beruflich macht. Doch das passiert nicht so oft. Im Lockdown etwa wurde für die Pflegekräfte applaudiert, aber man behandelt sie trotzdem weiterhin schlecht und bezahlt sie nicht entsprechend. Was man sagt, ist oft nicht deckungsgleich mit dem, was man tut.


Wobei der Kunde jetzt nicht unfreundlich ist, er erklärt Volker ganz lapidar, dass ihm die Lieferung auch nicht mehr kostet als den Wein selbst zu holen, mit dem Unterschied, er müsse ihn nicht selbst die Treppen hinauftragen.


Ich würde dennoch eher so reagieren wie Volker. Wenn sich jemand Getränke von weiter weg liefern lässt, weil er die Stockwerke selbst nicht mehr schafft, ist es schon noch etwas anderes, als wenn man den Laden im eigenen Haus unten hat und jemanden anderen für sich buckeln lässt. Ich finde das an dieser Stelle schon ein Stück weit pervers.


Für mich spiegelt es wie erwähnt die Dramatik von Volkers Leben so komprimiert wieder. Er versucht mit seinem Sohn durchs Leben zu kommen, ist alleinerziehend, da seine Frau alkoholkrank ist. Es zeigt das Ungleichgewicht in der Gesellschaft, in den Jobs und deren Betrachtung, deren Wertigkeit.

Ja und um beim Thema Wertigkeit zu bleiben, ich finde es immer komisch, wenn Menschen, die etwa aus dem Krieg geflohen sind, also von irgendwo anders herkommen, gefühlt für uns eine andere Wertigkeit haben als jemand, der als Arzt am Krankenhaus arbeitet. Aber vielleicht ist der, der im Flüchtlingsheim sitzt, auch Arzt, nur eben aus Libyen. Das vergisst man immer. Man sagt immer so leichtfertig dahin, jeder Mensch ist gleich viel wert, aber in der Realität ist es eben leider nicht so, dass alle gleich behandelt werden. Das zeigt dieser Film auch. Neben der Tatsache, dass in der Pandemie so viel bestellt wurde wie noch nie vorher. Eine Katastrophe für die Umwelt, wenn die Leute Sachen bestellen und kostenlos wieder zurückschicken können, wenn es nicht gefällt. Anstatt zu fragen, was braucht man denn wirklich in dieser Zeit…es wurde gar nicht verzichtet, im Gegenteil, es wurde immer mehr bestellt.


Paradox, da ja so viel von Verzicht gesprochen wurde.


Und irgendjemand macht diesen Job des Paketzustellers. Darüber denkt man nicht nach, wer das macht und wie anstrengend das ist. Man ärgert sich nur, wenn etwas nicht rechtzeitig ankommt. Ich finde toll, dass der Film diese Branche in den Fokus nimmt und sagt, wer liefert denn da die ganze Zeit? Wer ist dieser Mensch. Und zu sagen „Wieso? Ich bezahl Dich doch dafür, dass Du meinen Kram trägst!“ ist eben einfach sehr respektlos im Umgang. Da degradiert man den Menschen auf seine Funktion. Aber es wäre schöner, sich auf Augenhöhe zu begegnen.


Das bedarf auch Willen und dass Menschen sich darauf einlassen, auf diese Augenhöhe.

Es ist tatsächlich ein gesellschaftliches Problem, dass Leute ihren eigenen Wert darüber bestimmen, dass sie den von anderen niedriger halten.
Ein Thema auch weltpolitisch, es ist ja ganz gut wenn man Leute oder andere Länder hat, die wirtschaftlich abhängig von einem sind.


Neben dem Thema Respekt hat es Volker sehr schwer, sein Leben mit allen Herausforderungen zu meistern.


Ja, die Frage stellt sich, wie schaffe ich es, trotzdem integer zu bleiben und meine Werte beizubehalten. Da geht es in der zweiten Hälfte des Filmes ans Eingemachte.


Ich habe oftmals das Gefühl, dass Sie vielfach Rollen spielen von Charakteren mit
Brüchen in der Biografie, so wie eben den Volker. Womöglich kenne ich andere Filme nicht. Aber ist dies eine Vorliebe von Ihnen, diese Typen zu verkörpern, damit der Fokus eben auch auf sie gelegt wird? Ich habe Sie noch nie einen „Lackaffen“ mimen sehen.


Ich glaube, ich wüsste nicht, was ich da spielen soll. Jemand der einfach erfolgreich ist, bei dem alles klappt, das finde ich per se uninteressant. Natürlich sind die Menschen mit Abgründen, Brüchen und Geheimnissen viel, viel spannender. Insofern ist es eine bewusste Entscheidung, doch es braucht Glück, solche Rollen zu erhalten oder geschrieben zu bekommen. Wenn ich jetzt einen sehr erfolgreichen Anwalt spielen würde, der viel Geld verdient und alles richtig macht, würde ich immer gucken, wo der Widerspruch ist, was bei ihm nicht stimmt, wo der Hacken an der Sache ist.


Das gibt es irgendwie immer, oder?


Aber gerade, weil ich manchmal gefragt werde, das wirkt so, als wäre dies Deine Meinung, was die Figur sagt… doch ich muss einen brutalen Mörder oder Neonazi ja gegebenenfalls genauso glaubwürdig verkörpern, das ist immer die Herausforderung, die bei manchen Rollen natürlich leichter fällt, gerade wenn die gespielte Figur eine Meinung vertritt, die man auch privat nicht so doof findet. Mir sind solche Typen wie Volker einfach sehr sympathisch, erzählenswert. Mit mir privat hat das dennoch wenig zu tun. Diese Männerrollen, gerade in den Serien, die ich gespielt habe, verkörpern für mich extrem unterschiedliche Männerbilder. Gerade, da ich da oft in eine Schublade gesteckt wurde. Das ist manchmal nicht leicht, sich davon zu befreien. Deshalb nehme ich gern unterschiedliche Sachen an. Aber klar Volker gehört jetzt auch wieder zu den „kleineren Leuten“, die sind mir dann wahrscheinlich näher.


Nur oft werden die nicht gehört. Sie sind ja auch klug, in dem was sie sagen.


Ja, sie haben nicht die Ausbildung, aber es ist nicht immer zwangsläufig so, dass ein Akademiker „klug“ ist, er hat nur viel gelernt. Hatte die Möglichkeit. Eine weitere Frage – wir leben in einem Land, in dem es heißt, alle haben die Chance sich zu bilden. Es ist jedoch ein grosser Unterschied, wo und wie man aufwächst, in einem Haus, in dem es Bücher gibt und Musik gehört wird, oder dort, wo man sechs Stunden vor den Fernseher gesetzt wird, weil die Eltern nichts mit einem anzufangen wissen oder zu viel zu tun haben. Dann hat man von Anfang an nicht die gleiche Chance, da Bildung nicht ins Leben integriert ist. Entweder man bekommt vorgelesen und gesungen oder eben nicht, das macht etwas mit den Kindern.


Oder wen man trifft, Lehrer, Trainer.


Leute, die das von selbst schaffen, da sie so eine Neugier und einen Drang nach Wissen entwickeln, sind selten. Man bestimmt da schon sehr viel in den ersten Jahren. Volker hat schon eine gewisse Schulbildung. Aber oftmals haben Menschen mit weniger davon einen klareren Blick auf die Welt, durch den Alltag.

Geliefert gibt uns diesen Blick auf die Welt. Wir können uns wieder mehr bewusst werden, wer steht uns gegenüber. Und wir können dadurch die Verhältnismäßigkeit unseres Handelns in den Fokus rücken.


Ja absolut. Was ich auch noch sehr mag in diesem Film, ist die Beziehung zur Freundin von Volker. Ich mochte von Anfang an, was da erzählt wird. Eben keine klassische Beziehungsgeschichte. Sondern es existiert einfach eine Seelenverwandtschaft zwischen den beiden, da sie seine Welt auch kennt. Sie ist auch auf seiner Ebene. Da steckt viel Tiefe, auch im Umgang miteinander drin. Ich war wahnsinnig glücklich über die Zusammenarbeit mit Anne Schäfer und Nick Julius Schuck, der meinen Sohn spielt, die ich beide vorher nicht kannte…bestimmte Sachen kann man sich nur begrenzt erspielen. Eine Sympathie und tiefe Zuneigung zwischen den Figuren, wenn dies auch unter den Schauspielern da ist, überträgt sich das im besten Fall, ohne dass man es spielen muss. Die Chemie hat auf jeden Fall gestimmt, wir waren ein stimmiges Ensemble.

GELIEFERT
Regie: Jan Fehse
Mit Bjarne Mädel, Nick Julius Schuck, Anne Schäfer, Stefan Merki, Ivan Shvedoff u.a. 

TV-Ausstrahlung am 13. Oktober 2021 um 20.15 Uhr
im Rahmen des FilmMittwoch im Ersten