Das Drama von Regisseur Anno Saul erzählt den fiktiven Stoff der preisgekrönten Autorin Dorothee Schön über eine Ärztin in der Coronakrise: Als die Bilder aus Bergamo um die Welt gehen, steht das Leben der Konstanzer Intensivmedizinerin Dr. Caroline Mellau (Natalia Wörner) Kopf. Caroline wird Mitglied des Klinikkrisenstabs und ist rund um die Uhr im Einsatz. Gleichzeitig sitzt ihr Mann Stefan (Marcus Mittermeier) als Musiker von einem Tag auf den anderen ohne Einkommen zu Hause, die Kinder können nicht in die Schule gehen.
Ich bin sehr ergriffen, mich hat der Film in der Vorab-Ansicht sehr mitgenommen, und ich empfehle jedem, ihn anzusehen. Wie ist Ihr Gefühl?
Natalie Wörner: Ich habe die Entwicklung des Films von Beginn an begleitet und habe mich intensiv auch auf die medizinischen Abläufe im Film vorbereitet. Mir geht es ähnlich und mir persönlich war eines sehr wichtig, was den Film anbelangt, dass er diesen kollektiven Schmerz, diesen Schock und dieses Trauma, das wir alle erlebt haben, mit erzählt. Und jeder seine eigenen Erfahrungen in dieser Zeit auch zurück gespiegelt erleben kann.
Es wird ja auch in einer wahnsinnigen Dichte erzählt. Alles ist in der Familie der Ärztin, ihrer Rolle der Konstanzer Oberärztin Dr. Caroline Mellau, konzentriert. Mir sind besonders drei Sätze aufgefallen. Zunächst „Bereitet Euch auf einen Krieg vor“, der fällt, als ein Mediziner aus Strassburg eine Patientin in das deutsche Krankenhaus bringt, in dem sie arbeiten, und sich mit diesen Worten verabschiedet. Hier wird noch einmal deutlich, was die Pandemie mit uns machte, was sie hervorrief, diese Mischung aus Verharmlosung und ausufernden Zukunftsängsten, die hoch schwappten. Es hatte ab und an in der Wahrnehmung schon diese Anmutung, in einem Krieg zu sein, jedoch in einem gegen einen unbekannten Gegner.
Natalie Wörner: Es ist hoch komplex, emotional, und absolut entscheidend, welche Haltung man dazu einnimmt. Das ist das Enorme, worauf man im Film zurückblickt, auf diese Stationen, die wir erlebten, diese Zeit versetzte Realität mit dem Ankommen der Pandemie, dem Umgang damit, dem Versuch einer Normalität, dem Scheitern. Jeder hatte seinen Alltag, andere Aufgaben und Schwierigkeiten, die Herausforderung überhaupt anzunehmen und damit zurecht zu kommen. Jede Berufsgruppe zusätzlich, auf ihre eigene Situation bezogen. Der Film nimmt sich den Raum, zurück zu blicken, auf die ganzen Stationen, die wir als Gesellschaft erlebt haben, und darauf wie ahnungslos und naiv wir im Frühjahr 2020 gestartet sind. Wie viel Dynamik dahinter steckt, bis heute, und auch wie viel Spaltung. Ich bin mir sicher, dass dieser Film auch polarisieren wird, dass er Debatten auslösen wird, das finde ich gut, das soll auch so sein. Die Frage ist, wo stehen wir heute und wie geht es weiter?
Das bringt mich zum zweiten Satz, zur Frage, die Sie Ihrem Film-Ehemann stellen: „Was wird von Corona bleiben, Solidarität und Hilfsbereitschaft oder Angst und Wut? Und genau diese Fragestellung haben wir immer noch. Der Film spielt am Anfang, als es losgeht, nun sind über anderthalb Jahre vergangen und es hat sich bewahrheitet, was angedeutet wird.
Natalie Wörner: Richtig, jetzt wo wir die Möglichkeiten haben, uns durch Impfung zu schützen, was im Film als noch nicht vorhandene Tatsache erzählt wird, auch als wir drehten Anfang des Jahres war der Impfstoff gerade erst im Anlauf, wundern wir uns, dass sich doch viele nicht impfen lassen, die es könnten. Diese Debatte hört nicht auf. Dennoch sterben viele Menschen, das ist dann schon wie Krieg, wenn man diese Zahlen nimmt und auf sich wirken lässt. Noch nie war die Zahl der Neuinfizierten in Deutschland so hoch wie in diesen Tagen.
Die Stärke des Films ist für mich, dass es ausreicht, das Leid einer Person zu erleben, die Überforderung der Akteure. Auch wie alles begann, ob nun ein Todesfall eintritt oder man die Situation nacherlebt, wenn man Angehörige im Heim nicht besuchen darf, um diese ganze Dramatik zu verinnerlichen. Das alles machte etwas mit uns. Und ich befürchte, das haben einige schon wieder vergessen.
Natalie Wörner: Es wäre schlimm, wenn es so verdrängt wurde. Aber das Ziel des Films war auch, dass das Umfeld unserer Hauptfigur nahbar dargestellt wird. Es spielt in einer Kleinstadt, wir erzählen von keiner Familie, die abgehoben lebt, es sind normale Menschen mit normalen Berufen, Problemen, Überforderungen, Fragen und Hilflosigkeiten. Keiner von uns hat in dieser Zeit nichts erlebt, nicht alle gehen gleich damit um, bis heute, aber diese Abfolge von Ereignissen, Fakten, Aufgaben, Fragestellungen, die wir alle erlebt haben, dies erzählt der Film und das ist ganz nah an dem, was wir als Gemeinschaft an Erfahrungen gemacht haben. Und beim Ansehen kann das jeder mit seinem Erlebten abgleichen. Der Film ist ein Spiegel, der durchaus erschüttern kann und soll, womöglich ist dies dann auch heilsam.
Eine weitere Aussage Ihrer Rolle, ist „Weißt Du auch, was uns allen am meisten fehlen wird? Die Nähe!“ Wir haben in den letzten Monaten versucht, selbige via elektronischer Mittel aufrecht zu erhalten. Nun hatten wir in den letzten Wochen der Öffnung geradezu einen Overflow an Veranstaltungen, um diese Nähe wieder erleben zu können. Wie erging es Ihnen persönlich damit?
Natalie Wörner: Dreharbeiten sind immer nah, klar man ist routiniert in seiner Arbeit und gleichzeitig vorsichtig und achtsam bezüglich einer neuen Arbeitssituation. Dann gab es neue Narrative. Szenen, in denen etwa gezeigt wird, wie sich Angehörige nicht mehr verabschieden können, man versucht über iPad wenigstens die Möglichkeit zu erzeugen, indem man ein solches auf eine sterbenden Menschen richtet, das hat mich sehr berührt. Hier musste ich mich sehr zusammen reißen, vor allem in dem Wissen, dass dies an vielen Orten dieser Welt, während wir das spielen, Realität ist…Jeder Kranke ist einer zu viel. Und jeder Covid-Patient ist ein kranker Mensch, der von so vielen anderen mit großem Engagement, Aufwand Tag und Nacht versorgt wird, das zeigt der Film auch, was es für alle, die Ärzteschaft, die Pfleger bedeutet. Wer dies einmal erlebt hat, der wird nicht mehr leichtfertig über Covid in Zahlen sprechen. Für mich ist es auch eine merkwürdige Abstraktion von Dingen, die so extrem existenziell sind. Daher prallen viele Debatten darüber an mir ab.
Ich denke, dass gerade die Szenen im Krankenhaus, die den Klinikalltag zeigen, wie Ärzte und Pflegepersonal es von Beginn an erlebten, wichtig sind, um ein Bewusstsein zu schaffen, ein Gefühl vermitteln und zur Reflexion über Krankheit und Tod zwingen. Zudem wird sehr verständlich die Arbeit im Krankenhaus gezeigt, inklusive der Probleme wie Überforderung oder fehlende medizinische Hilfsmittel. Auch die Ängste, die mitschwingen, kommen zum Ausdruck.
Natalie Wörner: Total. Die Tochter unserer Drehbuchautorin Dorothee Schön ist Intensivmedizinerin. Und meine Freundin, Laelia Rösler, ebenso Intensivmedizinerin, war als Fachberaterin involviert. Sie hat nicht nur beim Drehbuch schreiben beratend zur Seite gestanden, sondern war bei den Dreharbeiten im Krankenhaus vor Ort und achtete darauf, dass alles, jeder Handgriff, jeder Ablauf, jede Maske stimmte. Auch die Chronologie des Mangels an Schutzkleidung und Masken wurde Detail getreu dargestellt. Auch um einen Film zu machen, der Ärzten und allen, die mit Patienten in Berührung kommen, gerecht wird. All diesen Menschen ist der Film auch gewidmet.
„Die Welt steht still“ hat ein offenes Ende, auch unsere Situation mit der Pandemie ist noch nicht am Ende. Was wünschen Sie sich ganz persönlich, was der Film bewirken soll?
Natalie Wörner: Mich haben die letzten 1,5 Jahren eine Demut vor dem Leben gelehrt, es ist alles sehr fragil. Wir sind in einer Pandemie, die tödlich sein kann, wie wir wissen.Vieles habe ich hinterfragt, beruflich und privat, mir genau angesehen, was ich mache, mit wem ich meine Lebenszeit teile. Der Film kann diese Demut erzeugen.