Ich treffe Marinko Jurendic, Sportdirektor beim FC Augsburg, in der WWK Arena, dort wo er sich der 47-Jährige am 3. August 2023 erstmals vorgestellt hat.
Vor einem knappen halben Jahr haben wir sie in Augsburg erstmals erlebt, gefühlt sind sie schon ewig hier. Wie haben sie sich seither in Bayerisch-Schwaben eingelebt?
Marinko Jurendic: Wo soll ich beginnen, die ersten beiden Monate waren natürlich sehr bewegend, mit sehr viel Neuem zu Beginn. Da war der Einstieg in die laufende Transferphase, das Kennenlernen der FCA-Mitarbeiter, der Medienleute, der Sponsoren, der Fan-Vereinigungen und dann der sofortige sportliche Einstieg mit dem DFB-Pokal und der Beginn der Meisterschaftsrunde. Dann kam der Trainerwechsel im Oktober, die erste große Veränderung, die gemacht wurde und du die Arbeitsabläufe, die Prozesse neu gestalten musst, mit der zentralen Position des Cheftrainers. Ich fühle mich wohl beim FCA, es wurde vieles so bestätigt, was ich erwartet hatte, nämlich, dass der FCA einerseits ein familiärer Club ist, mit den Leuten, den Fans, den Mitarbeitern, dem ganzen Umfeld, andererseits aber ambitioniert, hungrig und mit viel Potenzial ausgestattet. Viele Menschen arbeiten beim FC Augsburg, die ganz viel in der Vergangenheit geleistet haben, und dennoch große Ambitionen und Hunger haben, für die Zukunft etwas weiterzuentwickeln. Der FCA ist trotz 13 Jahren Bundesliga-Zugehörigkeit ein noch „junger Bundesligaverein“, bei dem sich dank der guten Rahmenbedingungen viele Möglichkeiten für die Zukunft bieten können. Persönlich kann ich sagen, dass ich beim FC Augsburg angekommen bin.
Auch privat?
Marinko Jurendic: Es braucht einige Monate, um die Leute kennen zu lernen, das Umfeld, bis man aus dem Hotel in eine eigene Wohnung umziehen kann, sich gewisse Sachen auch einspielen. Die Menschen haben es mir jedoch einfach gemacht, mich immer wieder angesprochen, ob ich Hilfe brauche, ob man mich unterstützen kann. Ich spüre einfach eine Offenheit, die das Ankommen erleichtert und vereinfacht.
Bei ihrem Antritt haben sie gesagt, dass Augsburg für sie ein weißes Feld ist. Ich fragte damals auch, wie sie entspannen. Sie sagten, sie gehen gern in die Natur. Gab es in den letzten Monaten überhaupt Zeit, die Stadt und die Region zu erkunden?
Marinko Jurendic: Ich lebe in der Zwischenzeit außerhalb der Stadt, auch wegen des Hundes, wenn er bei mir ist, dann gehe ich raus. Er ist nicht immer da, weil meine Familie noch in der Schweiz lebt. In der Stadt selbst bin ich ebenfalls, wenn es die Zeit zulässt, insbesondere wenn mich meine Familie besucht. Wir waren am Rathausplatz, in der Puppenkiste, im Rathaus, in dem ein oder anderen Restaurant. Es ist mir auch wichtig, dass ich den Bezug zum Kern der Stadt habe. Ich finde die Stadt sehr schön und angenehm.
Werden sie ab und zu auch direkt angesprochen?
Marinko Jurendic: Ja, etwa: super habt ihr das gemacht letztes Wochenende, gut gekämpft, ihr habt eine gute Mentalität. Das sind Momente, die ich auch zu schätzen weiß, da man das Gespür bekommt, wie die Menschen denken, und sieht, wie sie mit dem FC Augsburg mitgehen. Ich habe auch einige Bekannteaußerhalb des Fußballs kennengelernt, die jedoch irgendwie mit dem Fußball, mit dem FC Augsburg verbunden sind.
Aber gibt es für Freizeit überhaupt Zeit?
Marinko Jurendic: In meinem Leben ist schon der Fußballdominierend. Aber natürlich muss und will ich auch abschalten. Ich bin aber auch keiner, der groß in die Läden geht. Ich erhole mich sehr gerne zu Hause, oder gehe in die Natur, um Kraft zu tanken. Aber der Job bringt natürlich mit sich, dass du stetig den FCA im Kopf hast und natürlich auch Arbeit mit nach Hause nimmst.
Schaffen sie es, ihr Handy ab und an auszumachen?
Marinko Jurendic: Mein ehemaliger Präsident in Zürich, der auch zwei Hunde hat, pflegte immer zu sagen, wenn es nur drei Stunden sind, an denen du das Handy zur Seite legst und spazieren gehst, dann gibt dir das Luft. Natürlich geht das in einer Transferphase nicht, da bist du praktisch rund um die Uhr erreichbar. Aber ich nehme mir bewusst die Zeit, um abzuschalten, auch zum Selbstschutz. Du verpasst nichts in ein paar Stunden und musst nicht immer und überall erreichbar sein.Dafür hast du die Batterien wieder aufgeladen.
Sie lesen gern, was liegt gerade bei ihnen auf dem Nachttisch?
Marinko Jurendic: Das letzte Buch von Paulo Coelho, ich habe einige Bücher von ihm gelesen. Und die Biografie von Alex Ferguson – ich lese sehr gern Biografien – in denen ich immer wieder einfach am Stöbern und mich am Weiterbilden bin. Es ist für mich auch wichtig, mal andere Inputs aus dem Fußball und auch anderen Lebensbereichen zu bekommen.
Hat sich ihr Bild über den deutschen Fußball verändert, im Vergleich zur schweizerischen Fußballwelt?
Marinko Jurendic: Es ist vieles wie erwartet. Auch hier geht es im Kern um die Sache , um die Entwicklung von Spielern und insbesondere darum, Spiele zu gewinnen, die Zusammenarbeit und das Zusammensein mit den Menschen, den Fans. Die Verantwortung, die man trägt, ist eigentlich die gleiche. DieOrganisation des gesamten deutschen Fußballs im Allgemeinen und des FCA im Besonderen ist grösser und breiter. Man weiß um die Wichtigkeit der Aufgabe, die man hat resp. die man ausführt, zusammen mit den Kollegen, das war in der Schweiz auch so. Der große Unterschied ist, dass die Schweizer Liga eine kleinere Liga ist. Das öffentliche Interesse an den einzelnen Clubs ist hier deutlich größer. Dasselbe gilt für die Stadien, die Fans. Wenn man das Auswärtsspiel in Bochum nimmt, waren es zwar nicht viel mehr Zuschauer als in der Schweiz. Doch die Stimmung ist da, die Fans gehen mit, man lebt Fußball. Das ist schon etwas, was mich begeistert und was ich zu schätzen weiß.
Sie sprechen oft davon, dass es ihnen um die Menschen geht, aber es geht eben auch um Geld. Das war in der Schweiz sicher auch so. Ihre Rolle als Sportdirektor ist möglicherweise eine der wichtigsten und sensibelsten Stellschrauben für den sportlichen Erfolg. Es werden Menschen, jetzt sag ich’s mal ein bisschen übertrieben „verschoben“, weil man sie nicht halten kann/will oder sie nicht bleiben wollen. Wie sehr wünschten sie sich, dass es manchmal ein bisschen ruhiger wäre, man einen Kader bauen kann, der länger bleibt, über Jahre etwa? Und wie wichtig sind Konstanten?
Marinko Jurendic: Ich versuche das aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Ich bin danbkar, dass ich im Fußball arbeiten kann. Fußball verbindet, begeistert, bringt Menschen zusammen. Im Kern geht es auf unserem Niveau aber natürlich um Leistung und Erfolg. Wenn man es mit der Wirtschaft oder anderen Branchen vergleicht, da geht’s auch jeden Tag um Leistung. Man sollte nicht zu viel hinterfragen, sondern das Bestmögliche aus den Aufgaben, die einem anvertraut werden, machen. Es gibt viele schöne Sachen, die der Fußball oder der Sport allgemein bieten können. Wichtig ist, Werte bezogen zu arbeiten, bei seinen Handlungen, den Menschen immer ins Zentrum zu stellen. Es braucht Resultate und Erfolg, aber nur wenn der Mensch mitgenommen wird. Die Konstante ist, daran zu arbeiten jeden Tag weiterzukommen, besser zu werden, Veränderungen zu gestalten. Beim Bau eines Kaders ist mir eine weitsichtige Planung wichtig. Wir wollen beim FCA einerseits Spieler haben, die das Gerüst der Mannschaft bilden, mit denen sich die Leute identifizieren können. Andererseits wollen wir einen gute Kadermischung haben, aus erfahrenen Spielern, die Verlässlichkeit geben und jungen Spielern, die aus unserem Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) hochgezogen werden.
Weil sie die Nachwuchsförderung ansprechen, sie haben bereits bei Amtsantritt ehrlich gesagt, dass es schwierig ist, aus dem Nachwuchsbereich dann tatsächlich in die Profi-Mannschaft zu kommen. Obwohl dies ein Ansinnen als Nachwuchsverein ist. Haben sie Lehrgeld bezahlt, ihre Erwartungen zurückgeschraubt?
Marino Jurendic: Der FCA in der Bundesliga, das ist das erste Ziel, das wir verfolgen müssen. In den letzten Jahren hat man ein wunderbares NLZ hingestellt. In den letzten Wochen und Monaten haben wir gestartet, uns ein klares Bild darüber zu machen, welche Talentspieler mit Bundesligapotenzial in unseren Nachwuchsteams spielen, wie wir den Schattenkader planen, was in den nächsten Jahren aus dem NLZ nachkommt. Dazu haben wir mit Heinz Moser jemanden dazu geholt, der ein absoluter Fachmann in diesem Bereich ist, der seit einigen Monaten in der Akademie in die Tiefe gegangen ist.
Im Kern geht es darum, dass wir das Gleichgewicht hinbekommen zwischen dem Erfolg der Mannschaft, um Bundesliga spielen oder noch mal einen Schritt weiter gehen zu können, und eben um die besten Talente aus unserem NLZ Schritt für Schritt an die Profimannschaft heranführen zu können. Die Realität, nicht nur beim FC Augsburg, ist in der Regel, dass selten junge Spieler aus dem NLZ den direkten Sprung in die Profi-Mannschaft schaffen und gerade im eigenen Verein durch die Decke schießen. Dem muss man sich bewusst sein. Aus Erfahrungen und Studien weiß man, dass je länger junge Spieler im eigenen NLZ bleiben, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch bis oben in die Profi-Mannschaft durchgehen. Alsomüssen wir uns damit auseinandersetzen, welche Strukturen wir legen, wie wir unsere Perspektivkader richtig einstufen, welche Spieler wir dazu holen, die wir nicht bereits hier haben. Und wie wollen wir unsere Region weiter stärken. Müssen wir junge Spieler mit elf oder zwölf Jahren von irgendwo her, bis zu 100 oder 200 km Entfernung, holen? Das sind unsere Themen.
Der Weg zum Profi in der Bundesliga ist sicher ein hartes Pflaster, ich will nicht gegen eine zu schnelle Integration von jungen Spielern sprechen, aber zu viele gleichzeitig eingesetzte Junge in einer Bundesliga-Mannschaft kann auch zu instabilen Leistungen führen. Wir müssen das Fundament mit Spielern, die auf konstant gutem Niveau spielen, bauen, damit die jungen talentierten Spieler darum herum auch Sicherheit haben und sich entwickeln können.
Aktuell haben wir junge Kaderspieler wie Dion Beljo, Arne Engels, Tim Breithaupt und mit Mert Kömür und Marcel Lubik auch junge Top-Talente aus der eigenen Akademie. Wir arbeiten zurzeit intensiv daran, dass gerade unsere ehemaligen NLZ-Spieler immer näher für die Einsätze bei der Profi-Mannschaft herangeführt werden.
Es geht aber auch darum, dass wir beim FCA den jungen Spielern den Weg zum Profi aufzeigen, einen Plan zurechtlegen, die Spieler auf dem Weg begleiten. Die Rahmenbedingungen dazu wollen wir schaffen. Wichtig ist auch in der Kommunikation mit allen Beteiligten, dass wir glaubwürdig sind. Doch letztendlich ist der Spieler selbst verantwortlich. Der Weg zum Profi in der Bundesliga ist kein einfacher.
Letztlich müssen wir ein gutes Gleichgewicht finden zwischen dem Erfolg der Mannschaft und dem Einbau junger Spieler, denn man muss sich auch bewusst sein, dass zu viele Junge in einer Bundesliga-Mannschaft in der Regel auch instabile Leistungendes ganzen Teams nach sich ziehen. Für diese Balance braucht es ein Fundament mit erfahrenen Spielern, damit die jungen Spieler Sicherheit bekommen und sich besser entwickeln können.
Am Anfang sagten sie auch, dass sie ein Puzzle zusammensetzen wollen. Ist es schon fertig, oder wie viele Teile fehlen noch?
Marinko Jurendic: Das ist ein fortlaufender Prozess. Im ersten Schritt ging es darum zu schauen, was in den vergangenen Jahren geleistet und welche Strategien verfolgt wurden, um diese in die weiteren Entwicklungsschritte mit aufzunehmen: Woher kommt der FC Augsburg? Was sind die Ambitionen, wohin will man gehen? Was ist möglich und was wollen wir nicht beim FCA? Da gibt es ganz viele Fragen, die du in der täglichen Arbeit beantworten musst. Dazu gehört auch der Vergleich mit anderen Clubs in der Bundesliga: Wo stehen wir, zum Beispiel bei möglichen Investitionen, bei der Kader- und Transferstrategie, bei der Entwicklung von Einzelspielern? Wir haben jetzt eine erste Phase der Veränderung hinter uns, in der wir den Kader optimiert haben. Auch im Staff haben wir Optimierungen vorgenommen und mit Lars Knudsen einen Standardtrainer dazu geholt, vorher ist mit Jacob Friis ein neuerAssistenztrainer dazugekommen. In den nächsten Wochen geht es darum, die Spieler weiter zu entwickeln, Abläufe zu verbessern etc. Parallel dazu läuft die Planung der neuen Saison, mit der Zielsetzung auf allen Ebenen einen weiteren Schritt nach vorne zu machen.