Hochwasser in Wertingen

Alexander Goldschmitt (54) ist verzweifelt, seit er an diesem Sonntagmorgen, dem 2. Juni um 11 Uhr mit dem Boot evakuiert wurde, weiß er nicht mehr wie es um sein Haus in der Wertinger Innenstadt steht.

„Es musste alles schnell gehen, ich habe einen Rucksack gepackt mit etwas Wechselwäsche. Das  Haus ist etwas höher gebaut, als ich ging war das Wasser aber schon an der letzten Treppenstufe.“ Jetzt befürchtet er, dass es mittlerweile innen im Haus steht. Während er abwarten muss, hilft sein Sohn Dominik, der beim Bayerischen Roten Kreuz arbeitet, ehrenamtlich seit Tagen andernorts. Goldschmitt selbst ist bei seiner Mutter untergekommen. In der Wertinger Stadthalle wollte er nicht bleiben, „um niemandem ein Bett weg zu nehmen“. Dort sind etwa 60-70 Personen aus den betroffenen Gebieten in Wertingen untergebracht, wie Wilhelm Nittbaur von der Schnellen Einsatz Gruppe (SEG) des Bayerische Roten Kreuzes Kreisverband Dillingen berichtet. Nina Sinkovski (82) etwa wartet dort mit ihrer Tochter und anderen Bewohnern der Übergangs-Wohnheime in der Augsburger Straße. „Wir sind so dankbar, wie uns hier geholfen wird.“ Nur die wichtigsten Dokumente und Arzneimittel konnten sie mitnehmen.

Manfred Mayr aus der Badgasse hat bereits am Morgen seine Frau und die drei Kinder zum Schwiegervater nach Wortelstetten geschickt. Er selbst steht vor dem Haus, in dem die Familie wohnt und das die Zusam komplett im Erdgeschoss geflutet hat. Er befürchtet einen Schaden von mehreren tausend Euro, man muss davon ausgehen, dass es weitaus mehr sein wird.

Drei Schicksale, drei Menschen, die vom Hochwasser an diesem ersten Juni-Wochenende betroffen sind. Zahlreiche Helfer sind im Einsatz: von den Freiwilligen Feuerwehren im Umkreis, dem technischen Hilfswerk, dem Bayerischen Roten Kreuz und weiteren. Es werden Sandsäcke geschleppt, Menschen per Boot evakuiert, in der Stadthalle versorgt, betreut, das ganze Programm, das anläuft, anlaufen muss in einem Katastrophenfall wie diesem.

Surreal erscheint es einem, wenn man selbst von einem Stadtteil kommt, der oberhalb der Innenstadt liegt und wo alles verschont blieb. Während unten in einem Teil der Stadt die Häuser von Freunden und Bekannten geflutet sind. Das Ausmaß der Zerstörung wird erst dann sichtbar werden, wenn das Wasser zurück geht oder abgepumpt ist. Und dann werden die Betroffenen viel Kraft und Hilfe benötigen.

Am Montag Vormittag besuche ich Manfred Mayr erneut. Er markiert mit Kreide die Höhe bis zu der das Wasser in seinem Haus in der Badgasse noch vor wenigen Stunden stand. Wohnzimmer, Esszimmer, Küche, Toilette, das gesamte Untergeschoss der Familie ist betroffen. „Die Küche werde ich komplett ausbauen müssen“, so der Familienvater. Er ist beherrscht, aber man merkt ihm den Schock sichtbar an. Am Sonntag, als ich ihn traf, stand das Wasser bis zu 60 Zentimetern hoch im Garten und im Haus. Zu diesem Zeitpunkt sprach er noch von einem Schaden in Höhe von einigen tausend Euro, jetzt wird ihm klar, dass dies in die Zehntausende gehen wird. Die Nacht habe er einigermaßen verbracht, der sechsjährige Sohn immer wieder nach ihm verlangt, die anderthalbjährige Tochter viel geweint. „Mir war wichtig, dass meine Familie in Sicherheit ist.“ Er selbst war den ganzen Sonntag über wie oben erwähnt in Wertingen, um die Lage am Wohnhaus zu beobachten und das wenige zu tun, was ging. Jetzt geht es ans Aufräumen und Schäden dokumentieren, während draußen auf der Straße die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr, in diesem Fall aus Hirschbach, die schlammverdreckte Straße mit Wasser säubern und weiterhin Wasser abpumpen. 

Einige Meter weiter in der Gänsweid steht noch Wasser, auf dem sich ein Ölfilm abzeichnet. Nur langsam geht es hier zurück. Dort steht eben auch das Haus mit der Nummer 4 von Alexander Goldschmitt. Er erzählt am Telefon, dass er noch nicht nach dem Rechten sehen konnte, doch er befürchtet das Schlimmste: „Wer gibt einem 54-Jährigen denn einen Kredit, um zu sanieren?“ Solch ein Hochwasser habe er in dieser Art noch nie erlebt. Er erinnert sich an 1985, als im unteren Zusamtal Land unter war, „aber selbst da war an der Zusam nichts, da der Ablauf eigentlich durch den Zusamkanal gut geregelt ist. Aber in diesem Jahr sind es einfach so viele Wassermaßen.“ Und gegen Wasser kann man nun einmal nichts machen. „Ich habe nicht einmal mehr mein Auto herausgebracht.“ Und das braucht er unbedingt, erst am 1. Mai hat er nach zweijähriger Krankheit seinen neuen Arbeitsplatz in Dillingen beim Abfallwirtschaftsverband angetreten. „Und wie komme ich jetzt dorthin, ein neues kann ich mir, sollte es defekt sein, nur schwer leisten!“

Am Montagvormittag befindet sich auch Frieda Bleuler (83) aus Pfaffenhoffen in der Wertinger Stadthalle, wo sie mit ihrem Sohn die Nacht verbracht hat. „Wir wohnen in der Nähe der Zusam und wurden vorsorglich evakuiert, da man nicht wusste, ob der Damm bricht.“ Das Feldbett sei nicht bequem gewesen, aber sie ist dennoch froh, dass es diese Notlösung gibt. Wie lange sie noch bleiben müssen, weiß sie noch nicht. „Das ist eben die Natur, da kann man nichts machen, nur das beste aus der Situation.“ Dafür sorgen die Helfer und Helferinnen in der Stadthalle um Wilhelm Nittbaur, die die Menschen mit einem Frühstück versorgten. „Ich bin stolz auf mein Team.“